Ich laufe noch einmal um das Auto herum, setze mich auf der rechten Seite auf den Fahrersitz und drehe den Zündschlüssel. Aus der Stereoanlage erklingt wie automatisch die Titelsequenz des Podcasts, der mich auf diese Reise gebracht hat. Heute wird mich mein Roadtrip endlich an die Orte führen, von denen ich so viel gehört, aber nur reine Fantasievorstellungen im Kopf habe: West Cork. Das südwestlichste Ende Irlands, mit seinen wilden Klippen, verwunschenen Orten und offenen Menschen.
Es klingt vielleicht morbide, aber durch den True Crime Podcast „West Cork“ in dem es um einen ungeklärten Mord in den neunziger Jahren geht, landete dieser Flecken Erde überhaupt erst auf meiner gedanklichen Karte. Beschrieben wird West Cork als Zuflucht für Künstler, Schriftsteller und exzentrische Auswanderer, die in der Gegend seit den Siebzigern hier herzlich willkommen waren. Wie ein kleines Versteck für Kreative am anderen Ende Europas mit einer Community, die nur durch Mund zu Mund Propaganda langsam wuchs. Von den Einheimischen liebevoll „Blow Ins“ genannt – Hereingewehte – konnte man sich hier als Fremder neu erfinden und sich vielleicht auch ein bisschen vor der Welt verstecken. Diese Vorstellung gepaart mit den Beschreibungen von den spektakulären irischen Landschaften und mystischen Plätzen, hat mich so neugierig gemacht. Ich war so fasziniert, dass ich seither unbedingt mal für einen Kurztrip hier herreisen wollte. Aber konnte West Cork meiner Fantasie gerecht werden?
Lest selbst!
West Cork Roadtrip Tag 1: Bantry und die Halbinsel Sheep’s Head
Einmal wie eine Lady fühlen mit Übernachtung im Bantry House
Der Regen prasselt leise an die Scheibe, ich blinzele und sehe, wie sich die Schatten der Zweige hinter dem Vorhang im Wind wiegen. Es ist mein erster Morgen in West Cork und ich liege kuschelweich in meinem Bett und lebe meinen klitzekleinen Downton Abbey Traum. Denn: auch wenn es bei meiner Ankunft am Abend zuvor schon stockduster war, konnte ich die Silhouette und die Grandessa des Bantry House bereits erahnen. Der ehemalige Wohnsitz des ersten Earl of Bantry liegt – wie der Name schon sagt – am Rande des kleinen Ortes Bantry, direkt in der Bucht zwischen den beiden Halbinseln Bere und Scheep’s Head.
Noch immer im Familienbesitz, ist das Herrenhaus heute ein beliebtes Ausflugsziel mit tollem Garten und einem Teehaus. Die Besonderheit: Im Westflügel betreibt die Familie ein kleines Bed & Breakfast mit sechs Zimmern. Und so darf ich mich hier einmal selbst wie eine Lady fühlen, Abends im Billiardzimmer einen Whisky einschenken und in der riesigen Bibliothek vor dem Kaminfeuer trinken. Schon an diesem Vorabend meiner Reise bekomme ich die volle Ladung irische Freundlichkeit zu spüren: ich verquatsche mich so sehr mit einem Ehepaar aus Schull, dass sie mich einladen in ihrer Cabin zu wohnen, wenn ich noch einmal in der Gegend bin.
Noch vor dem Frühstück schleiche ich mich hinaus in den Garten. Unbedingt möchte ich – „Lady Bantry“ – ohne andere Besucher durch „meinen“ Garten spazieren. Der Ausblick von den Stufen gegenüber des Hauses reicht über das Anwesen hinweg, hinein in die Bantry Bay und rüber zur Bere Peninsula. Ich hätte hier natürlich stundenlang Fotos machen und herumschlawenzeln können. Aber auf mich wartet ein preisgekröntes Frühstück und ein vollgepackter Tag.
Es lohnt sich außerdem auch das Innere des Hauses zu erkunden, denn der 2. Earl of Bantry brachte viele Kunstgegenstände und Möbel von seinen vielen Europareisen zurück. In etwa so wie bei mir Zuhause…
Auf Safari am Sheep’s Head – Wanderung zu alten Kupferminen
„You got proper rain gear with you?“ fragt mich Chris als ich an unserem Treffpunkt ankomme. Von Bantry aus waren es nur wenige Minuten mit dem Auto auf den Sheep’s Head. Die Straße ist Teil des Wild Atlantic Way und kaum ist man von der Hauptstraße auf die Halbinsel abgebogen, spürt man auch schon, wie „verlassen“ die Gegend hier wirklich ist. Kein einziges Auto begegnet mir auf der Single Track Road.
Neben dem Betrieb eines kleinen Glamping Grounds mit Fass-ähnlichen Pods, veranstaltet Chris auch Safaris und Wanderungen auf dem Sheep’s Head. Das Wetter meint es nicht ganz so gut mit uns. Es windet und regnet heute ordentlich. Wasserdicht eingepackt starten wir mit seinem Weinroten Landrover auf einem schmalen Wirtschaftsweg unserem ersten Ziel entgegen. Auf der Landzunge führt ein Rundwanderweg entlang der Küste und einige kürzere Wanderwege, die diesen immer wieder kreuzen.
Unsere erste Wanderung führt uns auf dem Sheep’s Head Way entlang der Küste zu einer verlassenen Siedlung, bekannt als „Crimea„. Hier haben bis in die 40er Jahre noch Menschen in einfachen Steinhäusern direkt auf der Klippe gelebt. Die Szenerie ist bei diesem Wetter nahezu dramatisch. Der Wind peitscht mir den Regen und das Salzwasser ins Gesicht, durch meine Brille kann ich kaum noch etwas sehen. Ich kann es mir kaum vorstellen, wie es war hier zu leben, mit Feuchtigkeit, Kälte und nur den Kartoffeln aus dem Vorgarten.
Vorbei an einer alten Kupfermine führt der Weg über ein Plateau mit gigantischer Aussicht über die Küste. Riesige Wellen klatschen auf eine kleine Bucht mit einem Pier. „Be careful„, ruft mir Chris zu und erzählt mir, dass an dieser Stelle schon Einige von den Wellen ins Meer gerissen und nie wieder gesehen wurden.
Mit dem Jeep machen wir nach der etwa 2 Stündigen Runde noch einen Abstecher zum Leuchtturm. Ihr wisst ja, die Küstenlichter haben einen eigenen Platz in meinem Herzen. Dieses süße Exemplar am südlichsten Punkt der Halbinsel erreicht man über einen etwa 30 Minütigen Spaziergang. Chris und ich unterhalten uns über das Leben auf Sheep’s Head. Er ist hier aufgewachsen und nach einem kurzem Abstecher für Studium wieder hierher zurückgekehrt um den landwirtschaftlichen Familienbetrieb zu übernehmen. Man merkt, sein Herz brennt für diesen Landstrich und ich sehe um mich herum all die Gründe dafür. Trotz des „Schietwetters“ bin ich gerne hier draußen, die Landschaft, das Salz in der Luft und der weite Blick.
Wir erreichen eine Treppe, deren rotes Geländer uns wie einen roten Faden die Klippe hinab führt. Erst im letzten Moment erscheint der kleine Leuchtturm hinter einem Felsen und für einen kurzen Augenblick blitzt sogar die unter gehende Sonne am Horizont hervor. Es ist erst der erste Tag und ich habe schon innerlich beschlossen, dass ich hier noch einmal für länger herkommen muss.
West Cork Roadtrip Tag 2: Die Mizen Peninsula, ein Ort voller Sagen und ein True Crime Podcast
„I was just driving on this road and all of a sudden this cinerama scope kind of scene opens up and I felt like I was stepping into the past“
– West Cork Podcast
Am zweiten Tag meines West Cork Roadtrips fahre ich auf die südlichste der drei Halbinseln und damit dem Ort des Geschehens aus dem Podcast „West Cork„. Im Podcast geht es um den Mord an der Französin Sophie Toscan du Plantier, kurz vor Weihnachten 1996, der bis heute viele Fragen aufwirft. Ich will und brauche hier aber gar nicht so sehr auf diesen Fall eingehen, den solltet ihr euch einfach selbst anhören. Mir geht es um die Beschreibungen der Menschen und der Orte in West Cork. Einer davon ist Three Castle Head.
Eine Wanderung zum sagenumwobenen Three Castle Head auf der Mizen Peninsula
Meine Fahrt führt ich ans südwestlichste Ende der Mizen Halbinsel bis die Straße an einem kleinen Parkplatz an den Klippen endet. Von hier geht es durch ein Gatter und eine Schwafsweide hinauf. Der Weg ist dank der Regenfälle der letzten Tage nicht ganz unbeschwerlich, das Wasser steht teilweise Wadentief auf der Wiese und ich muss mich hier und da von Stein zu Stein hangeln. Doch inzwichen lässt sich zumindest die Sonne blicken und taucht die Landschaft in ein sattes grün.
Ich bin ein wenig aufgeregt, denn ich bin so gespannt auf diesen Ort um den sich so viele Sagen winden. Am Three Castle Head befinden sich die Ruinen der letzten Festung einer der der stärksten Clans der Region. Strategisch gelegen, an einem See oben auf einer Klippe, versteckt zwischen den Felsen.
Das Ende des Clans soll sehr blutig gewesen sein und es gibt Berichte, dass noch heute an manchen tagen Blut durch das Mauerwerk tropfen soll. Dann ist außerdem die Rede von einer „Weißen Lady“, die hier ihr Unwesen treibt und Menschen ist Unglück stürzt. Auch unser Mordopfer aus dem Podcast soll an ihrem letzten Tag hier etwas ungewöhnliches beobachtet haben, was ihr Angst eingejagt hat.
Ich stapfe mit klopfendem Herzen weiter den Hügel hinauf und frage mich gerade, wann ich nun endlich da bin, als sich plötzlich das Plateau vor mir auftut.
„There is something about it, that is completely overwhelming.“
– West Cork Podcast
Dieses Zitat aus dem Podcast beschreibt es wohl am Besten. Vor mir liegt eine Senke mit einem kleinen See. Drei Türme verbunden durch eine kleine Mauer, dahinter die weichen Hügel, links die Scharfen Klippen die hinunter in den Atlantik führen und rechts in der Ferne die Küstenstreifen der anderen Halbinseln. Ich bin allein hier oben und von dem Anblick völlig überwältigt. Der Wind lässt den See beinahe lebendig aussehen.
Ich hätte Stunden am Three Castle Head verbringen können. Einfach nur sitzen und auf die wunderschöne Szenerie starren. Für einen Moment wünsche ich mir das raue Wetter des Vortages zurück und frage mich, ob er dadurch noch mystischer geworden wäre. Ein Gedanke, der von einer ankommenden Schulklasse unterbrochen wird und mir zeigt, dass es Zeit ist weiterzuziehen.
Ein Abstecher zum Mizen Head und ein Pint im südlichsten Pub Irlands
Nur etwa 10 Minuten mit dem Auto entfernt liegt der Mizen Head, der südlichste Punkt Irlands. Hier befindet sich ein kleines Visitor Center, durch das man gegen Eintritt einen Klippenweg erreicht, der zu einer spektakulären kleinen Brücke führt. Ich habe nicht mehr so viel Zeit, ansonsten hätte ich wohl noch etwas länger von der Brücke aus in die Schlucht geschaut, zu den Seehunden die sich da unten getummelt haben. Besonders beeindruckt hat mich der Blick durch die gefächerten Felsen.
Am Ende des Weges wartet eine Leucht-Station mit ehemaligen Wärter-Häusern von wo aus man bis zum Fastnet Rock schauen kann – einem Leuchtturm, der Mitten im Meer auf einem Felsen gebaut ist und am Horizont wie eine Nadel aus dem Wasser sticht.
Es wird langsam spät, mein Magen knurrt und ich habe Durst, denn ich habe leider auf dem Three Castle Head meine Wasserflasche verloren. Also entscheide ich mich nach Crookhaven zu fahren. In dem winzigen Fischerort auf einer kleinen vorgelagerten Landzunge gibt es die besten Krabbensandwiches (laut dem Pärchen, das ich im Bantry House kennengelernt habe) und den „südlichsten Pint Irlands“. Außerdem spielt O‘ Sullivans Pub auch eine Rolle im Podcast.
Kaum betrete ich den Gastraum, springt mir ein bekanntes Gesicht entgegen. Eine Gruppe von Spaziergängern in meinem Alter, die ich auf dem Rückweg vom Three Castle Head gefragt hatte, ob sie vielleicht meine Wasserflasche irgendwo haben liegen sehen (hatten sie nicht), sitzt neben dem Tresen und winken mir zu.
„We found your water bottle! It’s in the car!“ trällerte einer der Jungs und ist schon auf dem Weg zum Auto, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte. Wie groß kann denn ein Zufall sein?
An diesem Abend übernachte ich in Skibbereen, einem kleinen Ort im Herzen von West Cork in einem süßen und sehr speziellen B’n’B. Mona empfängt mich in ihrem Bridge House, welches gefüllt ist mit allerlei Kuriositäten, Kunst und Krams. Ich falle fix und fertig in mein bereits vorgeheiztes Himmelbett und freue mich auf Monas berühmtes Frühstück am nächsten Tag.
West Cork Roadtrip Tag 3:
Mit der Fähre nach Cape Clear und Fastnet Rock
Von Baltimore mit der Fähre nach Cape Clear
Eigentlich hätte es ein Tagesausflug mit dem Boot sein sollen: Von Baltimore nach Cape Clear und dann zum Fastnet Rock, eben diesem Leuchtturm auf dem Felsen mitten in der irischen See. Aber das Wetter und eben diese stürmische See hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht und der Ausflug wurde leider abgesagt. Deshalb blieb mir nur die normale Fähre und der Leuchtturm musste leider ausfallen.
Von dem kleinen Hafen Baltimore aus dauert die Überfahrt zur Insel Cape Clear etwa 40 Minuten, vorbei an Felsen und Insel und begleitet von Möwen. Ich liebe Bootsfahrten und wäre allein damit schon glücklich und auf Cape Clear selbst gibt es auch nicht so viel spannendes zu sehen. Mir tut es aber unheimlich gut hier einmal für ein paar Stunden festzusitzen und nicht noch tausend Pläne auf der Reise To-Do-Liste zu haben, die ich heute noch abklappern will.
Ein paar Rundwanderwege führen über die Insel, ich suche mir einen aus, der in ca. 2 Stunden zu schaffen sein soll und spaziere los. Schnell hat man die Insel vom nördlichen zum südlichen Hafen durchquert. Hier liegt eine verlassene Jugendherberge und ich stelle mir kurz vor, wie es wohl wäre diese für eine Saison zu übernehmen und auf dieser Insel zu leben. Den Gedanken schnell verworfen führt mich die Straße auf den höchsten Punkt der Insel. Von hieraus sieht man wieder Fastnet Rock, wie von beinahe überall. Vielleicht habt ihr ihn ja auch auf dem ein oder anderen Foto erspäht. Hin und wieder passiert mich ein Auto und die Insassen fragen mich kurz, ob ich weiß wo ich lang muss und wann die Fähre zurück geht. Ziemlich sweet!
Die Rückfahrt führt auf der offenen Meerseite an den Nachbarinseln vorbei und ist demendsprechend etwas ruppiger. Mir wird dabei klar, warum die Reise zum Leuchtturm abgesagt wurde.
Irish Music und Vintage Shopping in Clonakilty
Die letzte Station auf meiner Reise ist Clonakilty. Der kleine farbenfrohe Ort ist bekannt für seine irische Livemusik und genau dazu bin ich auch hier verabredet. Ich treffe mich mit Henrietta. Wir folgen uns seit einigen Jahren gegenseitig auf Instagram und sie lebt hier in West Cork. Während der Pandemie hat es sie aus Deutschland hierher verschlagen und wie viele andere „Blow Ins“ in West Cork ist sie geblieben.
Während wir im DeBarras Folk Club der irischen Musik lauschen und dem Treiben in dem Pub zuschauen, tauschen wir uns aus über das Leben hier, das Leben in Deutschland und allem dazwischen.
Am nächsten Morgen entdecke ich auf dem Weg zum Auto noch einen süßen Vintage Laden namens „Granny’s Drawers“, wo ich mich mit einem Souvenir von dieser Reise eindecke, bevor es für mich auf meinerm Roadtrip weiter nach Cork geht.
„Never meet you heroes“ sagt man ja oft. Und bei meinem Kurztrip nach West Cork hatte ich wirklich Angst, dass mir die Realität die Vorstellung von diesem schier wunderbaren Fleckchen Erde zerstören wird. Aber ihr habts sicherlich gemerkt: Die unglaubliche Natur, die unfassbar netten und offenen Menschen und die bunten Städtchen haben die Bilder in meinem Kopf noch übertroffen. Und wer weiß, vielleicht werde ich das Angebot des Pärchens aus Schull bald schon annehmen und eine längere Zeit in West Cork verbringen…
West Cork Roadtrip Route im Detail
Tag 1: Bantry -> Sheep’s Head -> Bantry
Tag 2: Bantry -> Three Castle Head -> Mizen Head -> Crookhaven -> Schull -> Skibbereen
Tag 3: Skibbereen -> Baltimore -> Cape Clear Ferry und Zurück -> Clonakilty
Alle sehenswerten Orte findet ihr auf meiner Cork & West Cork Google Karte.
Weitere Infos zur Reise nach West Cork
Hinkommen
Am besten erreicht mach West Cork über die Flughäfen in Cork oder Kerry. Da es von Berlin keine Direktverbindung gab bin ich über Dublin angereist und dann gefahren.
Rumkommen
Man braucht auf jeden Fall ein Auto – aber Achtung: Linksverkehr! Für mich ist das inzwischen kein Problem mehr. Für längere Reisen lohnt es sich vielleicht mit dem eigenen PKW und der Fähre anzureisen.
Weiterlesen
Ich war diesmal am südlichsten Teil des Wild Atlantik Way unterwegs. Wie es im nördlichsten Teil war, erfahrt ihr in meinem Artikel über den Roadtrip auf der Inishowen Halbinsel.
Auf den Spuren von den Drehorten von Game of Thrones war ich auch schon unterwegs und hier findet ihr alle Artikel aus Irland.
Offenlegung:
Meine Recherche in Irland fand in Kooperation mit Tourism Ireland statt und ich wurde für die Recherche bezahlt, weshalb der Artikel als Werbung gekennzeichnet ist. Meine in diesem Blogpost wiedergespiegelte Meinung bleibt davon unbeeinflusst.
